Berlin – In Zeiten der COVID-19 Epidemie machen sich nicht zuletzt jene Patienten große Sorgen, die aufgrund einer chronischen Erkrankung dauerhaft Medikamente einnehmen müssen, die die Abwehrfunktionen schwächen. Zu Unrecht, wie Andreas Stallmach, Direktor der Klinik für Innere Medizin IV für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Interdisziplinäre Endoskopie am Universitätsklinik in Jena feststellt.
Er erläuterte auf der Jahres-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) den derzeitigen Kenntnisstand dazu: „Je schlechter die Grunderkrankung behandelt ist, desto höher ist das Risiko für schwere Verläufe“. Es ist offenbar so, dass der Organismus umso eher mit der Infektion fertig wird, wenn er nicht auch noch an einer zweiten Front – der Grunderkrankung – kämpfen muss.Anzeige
Stallmach betonte, dass infolgedessen kein Grund bestehe, bei Patienten, die wegen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa), nach einer Lebertransplantation oder wegen einer autoimmunvermittelten Lebererkrankung mit immunsupprimierenden Medikamente wie Azathioprin oder Steroiden behandelt würden, die Dosis zu reduzieren oder gar die Therapie zu unterbrechen.
Der Experte für Infektionskrankheiten bei immunsupprimierten Patienten weiß, von welchen Ängsten diese Patienten derzeit geplagt sind. Denn von seiner Arbeitsgruppe wurden soeben die Ergebnisse einer Umfrage unter Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen ausgewertet (JCC, 2020; DOI: 10.1093/ecco-jcc/jjaa126).
Es zeigte sich, dass Patienten mit diesen Erkrankungen häufiger Sorgen haben, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren – ausgeprägt sind diese Ängste vor allem bei jenen, die Immunsuppressiva einnehmen. Ihre Befürchtungen erstrecken sich auf Krankenhäuser, Arztpraxen aber auch auf öffentliche Plätze wie Supermärkte. Die Patienten bleiben aus diesem Grund eher zu Hause und bitten um „Krankschreibungen“, um sich nicht am Arbeitsplatz zu infizieren.
Ihre Kenntnisse beziehen sie aus der Presse, aber vor allem aus dem nahen Umfeld. „Das private Gespräch steht im Vordergrund als Informationsquelle“, so Stallmach, der darin auch den Grund für die oft übergroßen Ängste sieht. Denn medizinische Informationen von Fachgesellschaften oder Selbsthilfeorganisationen würden leider vergleichsweise selten genutzt. Immerhin haben aber fast alle Befragten (96,4 Prozent) ihre Medikation fortgeführt.
Dies ist nicht allein deshalb zu empfehlen, weil die Betroffenen damit einem Rückfall der Grunderkrankung vorbeugen. „Wir können davon ausgehen, dass die bei Autoimmunerkrankungen eingesetzten Substanzen im Falle einer Infektion sogar eher nutzen als schaden“, kann Stallmach diese Gruppe von Patienten beruhigen.
Dies hat mit der Entzündungskaskade, dem Zytokinsturm, zu tun, der sich bei manchen Infizierten im Verlauf einer COVID-19 Erkrankung entwickelt und der dann offenbar mitbestimmend sei für Komplikationen. Dazu passt, dass sich Medikamente, die der Inflammation entgegenwirken, als hilfreich erweisen.
Das Risiko für einen schweren Verlauf dieser Infektion sei nämlich unter einer Biologika-Therapie gerade nicht erhöht, und die aktuellen Daten zum Nutzen von Dexamethason als hochpotenten Kortisonpräparat bei COVID-19 Patienten könnten diese Überlegungen ebenfalls stützen, hieß es in der Pressemitteilungder Gesellschaft.
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Die Frage, ob eine SARS-CoV-2 Infektion – ob nun schwerwiegend oder blande – womöglich vermehrt Schübe etwa von Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa auslösen könnte, ließe sich derzeit, so der Experte, noch nicht endgültig beantworten. Auch die Virusinfektion könne manchmal mit gastroenterologischen Symptomen wie Durchfall, Übelkeit und Erbrechen einhergehen und somit einen Schub imitieren. Dies müsse dann diagnostisch abgeklärt werden.
Der Experte für Infektionen der Verdauungsorgane adressierte nicht zuletzt die derzeit kursierenden, durchaus für diese Patientengruppen beunruhigenden Nachrichten aus Italien und Großbritannien. Studien aus diesen Ländern hätten gezeigt, dass dort jeder dritte COVID-19-Patient mit einer Lebererkrankung verstarb.
Allerdings spiegele sich in diesen Zahlen, die so nicht auf deutsche Verhältnisse übertragen werden dürften, die Überforderung des Gesundheitssystems der beiden Länder. Hierzulande sei sichergestellt, dass auch infizierte Patienten mit chronischen Lebererkrankungen eine exzellente Behandlung in der Klinik erhielten und dementsprechend die Prognose deutlich besser sei.
Überhaupt warnte Stallmach eher vor den „stillen Toten“ der aktuellen Pandemie, wie sie unlängst von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) genannt wurden: Patienten, die nicht „an“, sondern vielmehr „wegen“ COVID-19 versterben, weil sie aus Angst nicht rechtzeitig einen Arzt oder eine Klinik aufsuchen.
Das gelte für notwendige Therapien, diagnostische Abklärungen aber auch für Vorsorgeuntersuchungen, die von der DGVS ebenfalls als besonders wichtig angesehen werden: Derzeit seien allein 20.000 Koloskopien zur Früherkennung – „hoffentlich nur“ – verschoben worden, sagte Stallmach.
Mancherorts seien die Kapazitäten noch eingeschränkt, aber das Angebot an endoskopischen Untersuchungen sei in der Regel nicht mehr reduziert. Zudem seien Schutzkonzepte etabliert, die ausreichend gewährleisteten, dass sich die Patienten in den Kliniken und Praxen sicher fühlen dürften.
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