Morbus Crohn: Vermeidung von Emulgatoren in der Nahrung kann Krankheitsschub stoppen
13. März 2025Morbus Crohn: Vermeidung von Emulgatoren in der Nahrung kann Krankheitsschub stoppen
13. März 2025Können wir unsere Darmbakterien gezielt füttern?
Ein gesunder Darm soll vor vielen Leiden schützen, so die Hoffnung. Darauf zielen teure Tests und Tipps ab. Ein Ernährungswissenschaftler erklärt, was über das Mikrobiom bekannt ist und inwiefern es sich beeinflussen lässt. Ein Interview von Lea Wolz.
Kürzlich habe ich für einen SPIEGEL-Artikel ein paar Tage Buch geführt: Wie viele verschiedene Pflanzen esse ich eigentlich am Tag? Denn ein neuer Ernährungstrend propagiert, man solle auf 30 Pflanzen pro Woche kommen, mindestens. Auf Instagram und TikTok gibt es dazu eine Challenge, mit Tipps und Tricks, wie man die Zahl erreicht. Ich scheiterte zwar zunächst am Start, stellte dann aber schnell fest: So schwer ist es gar nicht.
Diese Ernährungstipps zielen darauf ab, das Mikrobiom im Darm und dessen Vielfalt zu stärken. Denn die Darmflora soll mit vielen Leiden wie Herzkrankheiten, Entzündungen, Nahrungsmittelallergien oder Adipositas zusammenhängen. Im Internet werden zahlreiche Stuhltests angeboten, die das eigene Mikrobiom analysieren sollen, inklusive personalisierter Ernährungsempfehlung. Wie sinnvoll sind solche Tests? Und kann ich die »guten« Bakterien in meinem Darm überhaupt gezielt füttern? Der Ernährungswissenschaftler Dirk Haller hat es mir erklärt.
Professor Dirk Haller (Jahrgang 1968) ist Ernährungswissenschaftler und Lehrstuhlinhaber für Ernährung und Immunologie sowie Direktor des Zentralinstituts für Ernährung und Lebensmittel (ZIEL) an der Technischen Universität München. Er forscht zum Mikrobiom.
SPIEGEL: Neue Ernährungsratgeber und Kochbücher propagieren »30 Pflanzen pro Woche« statt »5 Portionen am Tag«. Wie sinnvoll ist dieser Ernährungstipp?
Dirk Haller: Erst mal ist dagegen nichts einzuwenden. Der gesundheitliche Nutzen einer pflanzenbasierten Ernährung ist gut belegt, auch wenn wir die Mechanismen dahinter noch nicht ganz genau verstehen. Klassische, bevölkerungsbezogene Studien in der Ernährungswissenschaft zeigen aber immer wieder: Wir essen im Durchschnitt zu wenig Pflanzen und nehmen auch zu wenige Ballaststoffe auf. Auch die Vielfalt unserer Lebensmittel nimmt ab, früher gab es mehr Obst- und Gemüsesorten. Das ist alles richtig. Und die Mikrobiomforschung ist immens spannend, wir generieren da auch immer mehr Daten. Aber es gibt noch sehr viele offene Fragen in diesem Forschungsgebiet. Mancher Tipp ist da, Stand jetzt, ein wenig weit gesprungen und verlässt die wissenschaftliche Basis.
Wir können noch keine individuellen Krankheitsrisiken auf der Basis von Mikrobiom-Zusammensetzungen ableiten.
SPIEGEL: Inwiefern?
Haller: Wir haben das Mikrobiom und seine Rolle noch lange nicht verstanden. Was sich abzeichnet: Die Variabilität zwischen Individuen ist enorm groß, unsere Mikrobiome sind also sehr unterschiedlich und einzigartig. Es ist sehr individuell, welche pflanzlichen Inhaltsstoffe ein bestimmtes Mikrobiom bräuchte, um sich bestmöglich zu entwickeln. Kein Mensch kann im Moment sagen, wie diese 30 unterschiedlichen Pflanzen in der Woche aussehen sollten und welchen Abdruck, welche Signatur sie im individuellen Mikrobiom hinterlassen. Wir können auch noch keine individuellen Krankheitsrisiken auf der Basis von Mikrobiom-Zusammensetzungen ableiten.
SPIEGEL: Weiß man denn, was ein »gutes«, gesundes Mikrobiom ist?
Haller: Auch das lässt sich so pauschal nicht sagen, sondern sehr vage. Hier muss man ehrlich sein, und das vermisse ich in der Debatte. Der Slogan »30 Pflanzen in der Woche« ist nicht falsch und übermäßige Kritik wäre unangebracht. Aber die Versprechen sind teils zu weit gedreht: die Assoziation zu einem guten Mikrobiom zum Beispiel und die Vorstellung, dass wir die »guten« Bakterien im Darm gezielt über eine bestimmte Ernährung fördern können. Es gibt in der Forschungsrichtung noch eine gewisse Unschärfe, und die sollte man auch zulassen.
SPIEGEL: In den Büchern fällt teils auch das Stichwort »essbares Mikrobiom«. Dahinter steckt die Idee, dass wir durch vielfältige Lebensmittel und deren einzigartiges Mikrobiom auch unser Mikrobiom fördern können.
Haller: Die Idee eines »essbaren Mikrobioms« halte ich für Quatsch. Wie entsteht unser Mikrobiom? Wir entwickeln nach unserer Geburt eine sehr individuelle Zusammensetzung eines mikrobiologischen Gefüges. Diese hängt unter anderem davon ab, wie wir zur Welt kommen, ob durch Kaiserschnitt oder durch eine vaginale Geburt. Sie hängt von dem Mikrobiom unserer Eltern ab, vor allem der Mutter. Auch von der Ernährung in den ersten Lebensjahren. Wir bauen also etwas auf. Und irgendwann ist diese Nische etabliert. Natürlich bleibt das Mikrobiom auch noch dynamisch, weil bestimmte Bakterienstämme vielleicht austauschbar sind, weil sie ähnliche Funktionen haben. Und die einzigartigen mikrobiellen Gemeinschaften passen sich auch an, je nachdem, ob ich über eine längere Zeit nur Burger und Pommes esse oder hardcore Ballaststoffe in mich reinstopfe. Aber ich halte die Vorstellung für fraglich, dass ich mit einem Stück Blattsalat gezielt wieder ganz andere Organismen reinbringe. Diese Idee hat auch eine gerade publizierte Studie verfolgt: Da haben Forschende versucht, ein Bakterium, das man bei Naturvölkern noch häufig findet, über eine bestimmte Ernährungsweise wieder in den Darm von kanadischen Probanden zu bringen. Es hat nicht wirklich geklappt.
Experten warnen vor kommerziellen Darmflora-Tests
SPIEGEL: Wie sinnvoll sind Stuhltests, auf deren Basis individuelle Ernährungsempfehlungen gegeben werden sollen?
Haller: Wir arbeiten für unsere Forschung mit Stuhlanalysen, und ich bekomme sehr viele Anfragen, ob ich Stuhlanalysen für konkrete Tipps interpretieren kann. Ich kann hier nur raten: Lassen Sie die Finger davon. Sie brauchen keine einzige Stuhlanalyse. Alle medizinischen Fachgesellschaften raten sogar den niedergelassenen Ärzten davon ab, weil die Interpretation eben sehr schwierig ist. Das bedeutet aber nicht, dass das Mikrobiom nicht eine bedeutende Rolle beim Gesund- und Kranksein spielt. Aber wir stehen erst am Anfang, das zu verstehen. Auch eine individualisierte Ernährung ist im Moment noch ein Mythos.
Es gibt leider keine Abkürzung, so gern wir auch griffige Slogans mögen und vielleicht auch auf die eine Pille hoffen, die uns ein gesundes Leben schenkt.
SPIEGEL: Also doch Burger essen?
Haller: Mit den gängigen Ratschlägen fährt man schon gut: pflanzenbasiert, bunt, vielfältig, wenn Fleisch, dann wenig, und auch etwas Fisch. Eine pflanzenbasierte Ernährung ist gut für uns, sie hilft uns auch, das Gewicht zu halten, ist kalorienärmer und sättigt länger. Auch Fermentiertes ist gesund. Aber in Summe kommt es auf den Lebensstil insgesamt an. Hier gibt es leider keine Abkürzung, so gern wir auch griffige Slogans mögen und vielleicht auch auf die eine Pille hoffen, die uns ein gesundes Leben schenkt.
SPIEGEL: Schade eigentlich.
Haller: Gut belegt ist: Wer sich abwechslungsreich und gesund ernährt, sich dazu noch regelmäßig bewegt, Sport macht und nicht raucht, kann sein Risiko für Krebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen um bis zu 70 Prozent senken. Was wollen wir mehr? Obwohl ich Mikrobiomforscher bin, sage ich an der Stelle: Da muss sich das Mikrobiom noch umtun, um diese Effektgröße zu erreichen.
Aus: DER SPIEGEL; Ausgabe Nr. 26, 26.06.2025