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„Ultra“-verarbeitete Nahrungsmittel erhöhen Sterberisiko

Paris – Menschen, die häufig industriell hergestellte „ultra“-verarbeitete Nahrungsmitteln verzehren, haben ein erhöhtes Sterberisiko. Dies kam in einer prospektiven Beobachtungsstudie heraus, deren Ergebnisse in JAMA Internal Medicine (2019;  doi: 10.1001/jamainternmed.2018.7289) veröffentlicht wurden.

Der Begriff „Ultra“-verarbeitete („ultraprocessed“) wurde vom „Global Panel on Agriculture and Food Systems for Nutrition“ eingeführt. Die Expertengruppe, die die Vereinten Nationen in der „Dekade der Ernährung (2016-2025)“ beraten soll, unterscheidet in einer NOVA-Klassifikation 4 Gruppen von Nahrungsmitteln.

Neben den unverarbeiteten oder geringfügig verarbeiteten Speisen („unprocessed or minimally processed foods“), denen weder Salz, Zucker noch Fette zugefügt wurden, gibt es kulinarisch verarbeitete Zutaten („processed culinary ingredients“), bei denen die Nahrungsmittel durch Pressen, Raffinieren, Mahlen oder Trocknen verändert wurden. Zu dieser Gruppe gehören beispielsweise Suppen und Brühen, Brot, Salate, Getränke und Desserts.

In die dritte Gruppe fallen industriell verarbeiteten Nahrungsmittel („processed foods“). Dies sind in der Regel einfache Konserven mit Gemüse, Obst, Fisch oder Fleisch, denen Konservierungsmittel zugesetzt werden, um die Haltbarkeit zu verlängern. Die „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmittel („ultraprocessed food and drink products“) enthalten zusätzlich Farb- und Geschmacksstoffe, die den Genuss erhöhen sollen. Sie enthalten häufig raffinierte Zucker und Fette sowie Salz, die zu einer übermäßigen Aufnahme von Kalorien verführen. Zu den „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmittel gehören Snacks, Eiscreme, zuckergesüßte Getränke, Pralinen, Süßwaren, Pommes, Burger und Hot Dogs sowie Geflügel- und Fischnuggets.

Auf die „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmittel entfielen bei den 44.551 Erwachsenen im Alter von über 45 Jahren, die sich an der französischen „NutriNet-Santé“-Studie beteiligten, 14,4 Gewichtsprozent der verzehrten Nahrungsmittel, aber 20,1 % der Kalorienzufuhr.

Die Erwachsenen waren im Rahmen der internetbasierten „NutriNet-Santé“-Studie seit Mai 2009 mehrmals zu ihren Ernährungsgewohnheiten befragt worden. Sie hatten dabei 5 Fragebögen zu ihren Lebensgewohnheiten ausgefüllt und alle 6 Monate ein 24-stündiges Ernährungsprotokoll geführt.

Die Epidemiologin Laure Schnabel von der Pariser Sorbonne Universität ist dem Schicksal der Teilnehmer im Sterberegister CépiDC nachgegangen. Während einer Nachbeobachtungsszeit von 7,1 Jahren sind 602 Teilnehmer (1,4 %) gestorben, darunter überdurchschnittlich viele Personen mit einem höheren Verzehr von „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmitteln.

Laut Schnabel war ein Anstieg im Anteil der „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmittel um 10 % mit einem um 14 % erhöhten Sterberisiko assoziiert. Die Hazard Ratio von 1,14 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,04 bis 1,27 signifikant.

Diese Ergebnisse berücksichtigen eine Reihe von potenziellen Störfaktoren, die ebenfalls das Sterberisiko beeinflussen. Dazu gehörten neben Alter und Geschlecht das Monatseinkommen und der Bildungsstand, der Familienstand und der Wohnort, die körperliche Aktivität sowie Rauchen und Alkoholkonsum und die Kalorienzufuhr. Hinzu kommt ein etwaiges familiäres Risiko auf Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, da die Teilnehmer auch hierzu befragt worden waren.

Wie immer in epidemiologischen Studien gibt es keine Gewähr dafür, das andere Eigenschaften der Teilnehmer, die anstelle des Verzehrs von „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmitteln das erhöhte Sterberisiko erklären, nicht erfasst wurden. Selbst eine „reverse Kausalität“ ist möglich, wenn todkranke Menschen bevorzugt zu „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmitteln griffen (etwa weil ihre Krankheit sie am Kochen hinderte).

Wenn die Ergebnisse allerdings zutreffen, dann könnten eigentlich nur die Besonderheiten der „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmittel das erhöhte Sterberisiko erklären. Zu den Verdächtigen gehören Acrylamide, die bei starker Erhitzung stärkehaltiger Lebensmittel in der Maillardreaktion entstehen. Sie sind häufig in „ultra“-verarbeiteten Nahrungsmitteln enthalten, da die Maillardreaktion den Geschmack verbessert.

„Ultra“-verarbeitete Nahrungsmittel enthalten außerdem häufig das Weißpigment Titandioxid. Es steht im Verdacht, chronisch-entzündliche Darm­erkrankungen auszulösen. Die in den Fertigprodukten enthaltenen Emulgatoren und die künstlichen Süßstoffe könnten die Darmflora schädigen und die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes fördern. Bestandteile der Verpackung könnten als endokrine Disruptoren den Hormonhaushalt und damit den Stoffwechsel schädigen.

Die NOVA-Klassifikation ist neu und unter Ernährungswissenschaftlern umstritten. Die Einteilung berücksichtig nicht die Anteile von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen, die bisher die Basis für Er­näh­rungs­emp­feh­lung­en bilden. Nahrungsmittel mit der gleichen Zusammensetzung fallen unter Umständen in unterschiedliche Kategorien. Selbstgebackene Kekse könnten als „Processed culinary ingredients“ eingestuft werden. Die gleichen Kekse aus dem Supermarkt wären „ultra“-verarbeitete Nahrungs­mittel.

© rme/aerzteblatt.de