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„Low-dose“-ASS als Primärprävention bleibt in zwei Megastudien erfolglos

Oxford und Boston – Die tägliche Einnahme von Acetylsalicylsäure in einer niedrigen Dosierung („Low-dose“-ASS) soll Menschen vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen. Doch was in der Sekundärprävention nach einem Herzinfarkt seit Längerem Standard ist, hat sich in der Primärprävention bisher nicht durchgesetzt. Auf der Jahrestagung der European Society of Cardiology in München wurden erneut Negativergebnisse aus zwei randomisierten kontrollierten Studien mit mehr als 28.000 Teilnehmern vorgestellt.

An der ASCEND-Studie („A Study of Cardiovascular Events in Diabetes“) hatten 15.480 britische Diabetiker (zu 94 % Typ 2) im Alter von durchschnittlich 63 Jahren teilgenommen. Die Patienten hatten die üblichen Risikofaktoren von Diabetikern: 86 % waren übergewichtig oder adipös, 62 % hatten einen zu hohen Blutdruck und 76 % nahmen (was in Großbritannien nicht ungewöhnlich ist) Statine zur Behandlung eines erhöhten Cholesterinwerts ein. Keiner der Patienten (dies war Bedingung für die Teilnahme) hatte jedoch bisher einen Herzinfarkt oder ein anderes kardiovaskuläres Ereignis erlitten. Die Studie hat untersucht, ob die tägliche Einnahme von ASS in der Dosis von 100 mg sie auch in Zukunft davor schützen kann.

Nach den Gesetzmäßigkeiten einer randomisierten kontrollierten Studie wurden die Teilnehmer auf 2 Gruppen verteilt. Eine Gruppe nahm ASS in der Dosis von 100 mg ein, an die andere Gruppe wurden Placebo verteilt.

Der primäre Wirksamkeitsendpunkt war ein schweres vaskuläres Ereignis: Herzinfarkt, Schlaganfall/transitorische ischämische Attacke oder Herz-Kreislauf-Tod (mit Ausnahme einer bestätigten intrakraniellen Blutung). Ein weiterer sekundärer Endpunkt war die Diagnose von gastrointestinalen oder anderen Krebserkrankungen. Frühere Untersuchungen hatten hier auf eine Schutzwirkung durch ASS hingewiesen.

Diesem möglichen Nutzen steht das bekannte Blutungsrisiko durch den Thrombozytenaggregationshemmer ASS gegenüber. Der primäre Sicherheitsendpunkt der Studie bestand aus intrakraniellen Blutungen, einem Blutungsereignis im Auge, das die Sehfähigkeit gefährdet, sowie aus gastrointestinalen oder anderen schweren Blutungen.

In der bisherigen Nachbeobachtungszeit von 7,4 Jahren kam es in der ASS-Gruppe bei 658 Teilnehmern (8,5 %) zu einem vaskulären Ereignis gegenüber 743 Teilnehmern (9,6 %) in der Placebo-Gruppe. Das Team um Jane Armitage von der Universität Oxford ermittelt laut den im New England Journal of Medicine (2018; doi: 10.1056/NEJMoa1804988) publizierten Ergebnissen eine Rate Ratio von 0,88, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,79 bis 0,97 signifikant war. Die Einnahme von „Low-dose“-ASS hat also das Risiko eines vaskulären Ereignisses um 12 % gesenkt.

Gleichzeitig kam es jedoch in der ASS-Gruppe bei 314 Teilnehmern (4,1 %) zu einer schweren Blutung gegenüber 245 Teilnehmern (3,2 %) in der Kontrollgruppe. Die Rate Ratio betrug 1,29 (1,09–1,52), also ein Anstieg der schweren Blutungen um 29 %. Die meisten Blutungen traten im Gastrointestinaltrakt auf.

In der Summe heben sich die Vorteile und die Risiken der ASS-Gabe auf. In dieser Situation könnte die Vermeidung von Krebserkrankungen ein wichtiger Vorteil von ASS sein. Doch eine Prävention von Krebserkrankungen ließ sich nicht nachweisen. In der ASS-Gruppe erkrankten 897 Teilnehmer an Krebs (11,6 %), in der Placebo-Gruppe waren es 887 Teilnehmer (11,5 %).

ASS schützte auch nicht vor Darmkrebs oder anderen gastrointestinalen Tumoren: In der ASS-Gruppe erkrankten 157 Teilnehmer (2,0 %), in der Placebo-Gruppe waren es 158 Teilnehmer (2,0 %). Dieses Ergebnis steht in einem deutlichen Gegensatz zu den Ergebnissen früherer Meta-Analysen, nach denen ASS das Darmkrebsrisiko um bis zu ein Drittel senkt.

Die krebspräventive Wirkung von ASS trat in früheren Studien jedoch erst nach einer längeren Einnahme auf. Es könnte sein, dass ein Vorteil erst in künftigen Analysen der ASCEND-Studie erkennbar wird.

Auch in der zweiten Studie blieb die Primärprävention mit „Low-dose“-ASS erfolglos. An der ARRIVE-Studie (A Study to Assess the Efficacy and Safety of Enteric-Coated Acetylsalicylic Acid in Patients at Moderate Risk of Cardiovascular Disease) hatten an 501 Zentren in Großbritannien, Irland, Italien, Polen, Spanien, den USA und Deutschland 12.546 Patienten teilgenommen.

Für die Teilnahme mussten Männer mindestens 55 Jahre alt sein und 2 bis 4 der folgenden Risikofaktoren aufweisen: Erhöhte Fettwerte (Gesamtcholesterin ab 200 mg/dl oder LDL ab 130 mg/dl), aktive Raucher, vermindertes HDL (unter 40 mg/dl), Hypertonie (systolischer Blutdruck 140 mm Hg oder höher), Einnahme von Blutdruckmedikamenten oder eine positive Familienanamnese.

Frauen mussten mindestens 60 Jahre alt sein und drei oder mehr der genannten Risikofaktoren aufweisen (wobei die Grenzwerte bei Gesamtcholesterin mit 240 mg/dl und beim LDL mit 160 mg/dl etwas höher waren als bei den Männern).

Die im Durchschnitt 64 Jahre alten Teilnehmer der ARRIVE-Studie wurden auf die Einnahme von 100 mg/die ASS oder Placebo randomisiert. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war ein Composite aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt, instabiler Angina oder Schlaganfall/transitorische ischämische Attacke. Eines dieser Ereignisse trat in der ASS-Gruppe bei 269 Patienten (4,29 %) auf gegenüber 281 Patienten (4,48 %) in der Placebo-Gruppe. Das Team um Michael Gaziano von Brigham and Women’s Hospital ermittelte in dieser Intention-to-Treat-Analyse (die die Daten ohne Rücksicht auf die Compliance auswertet) eine Hazard Ratio von 0,96, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,81 bis 1,13 nicht signifikant war.

Die Forscher führten für ihre Publikation im Lancet (2018; doi: 10.1016/S0140-6736(18)31924-X) eine zweite Per-Protokoll-Analyse durch. Sie war auf die Patienten beschränkt, die tatsächlich ASS eingenommen hatten. Der primäre Endpunkt trat in der ASS-Gruppe bei 129 Teilnehmern (3,40 Prozent) und in der Placebo-Gruppe bei 164 Teilnehmern auf (4,19 Prozent). Die Hazard Ratio war mit 0,81 etwas günstiger als in der Intention-to-Treat-Analyse, verfehlte mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,64 bis 1,02 jedoch erneut das Signifikanzniveau.

Einzig bei den Herzinfarkten war – allerdings nur in der Per-Protokoll-Analyse – eine protektive Wirkung nachweisbar: Gaziano ermittelte für die Gesamtzahl der Herzinfarkte eine Hazard Ratio von 0,53 (0,36–0,79), also einen Rückgang um 47 %. Diese protektive Wirkung war in der Altersgruppe der 50 bis 59 Jahre alten Teilnehmer mit 82,1 % am größten.

Dem Nutzen stand auch in der ARRIVE-Studie eine erhöhte Zahl von Blutungskomplikationen gegenüber. Ihre Zahl war allerdings gering, da Menschen mit erhöhtem Blutungsrisiko, darunter auch Diabetiker, von der Teilnahme ausgeschlossen wurden. Gastrointestinale Blutungen, die meist mild waren, traten in der ASS-Gruppe bei 61 Teilnehmern (0,97 %) auf gegenüber 29 Teilnehmern (0,46 %) in der Placebo-Gruppe (Hazard Ratio 2,11; 1,36–3,28). Die Häufigkeit von Nebenwirkungen war in beiden Gruppen gleich (16,75 % in der ASS-Gruppe versus 13,54 % in der Placebo-Gruppe). Die häufigsten Nebenwirkungen waren Verdauungsstörungen, Nasenbluten, Sodbrennen und Oberbauchschmerzen.

In beiden Studien traten deutlich weniger kardiovaskuläre Ereignisse auf, als bei der Planung erwartet worden war. Es ist deshalb nicht gelungen, eine Gruppe von Menschen zu beschreiben, für die eine Primärprävention mit „Low-dose“-ASS vorteilhaft wäre. Ob es zu weiteren derartig großen Studien zur Primärprävention mit ASS kommt, muss bezweifelt werden, zumal die Sponsoren (hier Bayer Healthcare) die Früchte der Ergebnisse mit den zahlreichen Anbietern von Generika teilen müssten.

© rme/aerzteblatt.de